„Gorch Fock“-Prozess 13 Anwälte, 1450 Aktenordner – und die Frage, wo 135 Millionen versenkt sind

Infos zu Schiffen und deren Historie

Moderator: RedHawk_55

Antworten
Benutzeravatar
ww_michael
Verified
Site Admin
Beiträge: 2682
Registered for: 3 years 1 month
3
Wohnort: Winnen
Hat sich bedankt: 89 Mal
Danksagung erhalten: 1881 Mal
Geschlecht:
Alter: 59
Kontaktdaten:
Germany

„Gorch Fock“-Prozess 13 Anwälte, 1450 Aktenordner – und die Frage, wo 135 Millionen versenkt sind

Beitrag: # 3578Beitrag ww_michael »

Bild

Die Elsflether Werft geriet über die Kostensteigerung bei der Sanierung des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ der Bundesmarine in Schieflage. Die Ermittler stießen auf eine Firma, die einem Selbstbedienungsladen glich. Jetzt müssen sich die Verantwortlichen vor Gericht verantworten.

An einem Herbsttag im Oktober 2016 unterzeichnete Peter G. einen Vertrag, der schwerwiegende Folgen hatte. Seine Lebensplanung fiel in sich zusammen, ein Unternehmen ging pleite, und eine Ministerin musste sich gegen den Vorwurf wehren, versagt zu haben.

Dabei schien es auf den ersten Blick ein ganz normales Geschäft zu sein, das er tätigte: Peter G. kaufte für 600.000 Euro ein Grundstück im niedersächsischen Varel, um dort seniorengerechte Wohnungen zu bauen. Der damals 60-jährige Beamte hatte nur ein Problem: Die Investitionssumme von 1,6 Millionen Euro konnte er nicht aufbringen – und keine Bank wollte ihm das Geld leihen.

Aber Peter G. wusste, wo etwas zu holen war. Der „technische Kostenprüfer“ der Bundesmarine arbeitete damals auf der Elsflether Werft (EW), die das Segelschulschiff „Gorch Fock“ sanieren sollte. Er war allein dafür zuständig, Rechnungen des Unternehmens abzuzeichnen und auf Plausibilität zu prüfen – eine Stelle, die die Marine selbst als besonders korruptionsgefährdet einstufte.

Trotzdem ging der Technische Regierungsamtsrat beim Marinearsenal Wilhelmshaven ins Büro des Werft-Vorstandes Klaus Wiechmann und bat seinen Duz-Freund um finanzielle Unterstützung bei seinem Bauvorhaben. Die beiden kamen überein, dass die Firma, deren Rechnungen Peter G. im Auftrag der Marine zu prüfen hatte, diesem 400.000 Euro zur Verfügung stellte – und hielten dabei unverklausuliert fest, dass es dabei auch um das Wohlwollen des Controllers bei den Kostensteigerungen bei der Reparatur der „Gorch Fock“ ging.

Das Schiff war vom Rost zerfressen und bei näherer Inspektion schwerer geschädigt als vermutet. So jagten die Kosten von ursprünglich geschätzten knapp zehn Millionen auf am Ende 135 Millionen Euro in die Höhe.

Bild

Am 1. Dezember 2016 floss die Summe auf ein Konto des Beschuldigten. Und weil es das erste Mal so gut klappte, klopfte Peter G. kurz darauf erneut an die Tür des Vorstandes. Er brauchte wieder 400.000 Euro, die ihm die Chefs am 20. Oktober 2017 überwiesen – ohne marktübliche Sicherheiten.

So hält es die für Korruptionsstraftaten zuständige Staatsanwaltschaft Osnabrück in drei Anklageschriften fest, in denen sie den Verantwortlichen der Werft, Peter G. sowie Handwerksbetrieben unter anderem vorwirft, ihr Unternehmen geplündert und den Staat betrogen zu haben. Die Anklagen verband das Landgericht Oldenburg zu einem Verfahren, das am 16. April wegen der sechs Angeklagten, 13 Anwälten und des erwarteten Besucherandrangs in der Weser-Ems-Halle beginnt. In der Sonderkommission „Wasser“ gruben sich zuvor 15 Ermittler jahrelang durch 1450 Aktenordner und werteten 14 Terabyte an E-Mails, SMS und Dokumenten aus.

Der Verdacht der Fahnder lag nahe: Peter G. könnte ein per Kreditvergabe erkauftes Wohlwollen genutzt haben, um überhöhte Rechnungen der EW bei der Instandsetzung der „Gorch Fock“ zu akzeptieren. Doch das ließ sich nicht nachweisen. Sachlich nicht nachvollziehbare Mehrausgaben beim „Weißen Schwan“, so der Spitzname des Dreimasters, beliefen sich lediglich auf 247.317,28 Euro. Der Fall Peter G. ist Gegenstand der ersten Anklage.
Eine Firma wie ein Selbstbedienungsladen

Doch die Ermittler stießen bei der EW auf eine Firma, die einem Selbstbedienungsladen glich. Offenbar betrieben die beiden Vorstände Klaus Wiechmann und Marcus Reinberg eine Art kreative Buchführung, um die Firmenkasse aufzubessern. So soll es der Anklage zufolge ein Rabattsystem gegeben haben, das die Firma mit von ihr beauftragten Handwerksbetrieben verhandelt habe. Danach soll die EW nach Rechnungserhalt einen Rabatt in Höhe von 15 Prozent eingefordert und erhalten haben.

Dieses Geld sollte als Gutschrift an die Werft ausgezahlt werden – und hätte dann wiederum der Bundeswehr als Auftraggeberin überwiesen werden müssen. Die Vorstände aber hielten die Beträge zurück und tauschten sich darüber aus, wie sie diese deklarieren könnten. Reinberg schrieb seinem Kollegen, dass man die Summe als Abrechnungspauschale, Umsatzmiete oder „vielleicht einen Mix aus alledem“ ausweisen könnte. Durch diese Praxis „erwirtschafteten“ die Vorstände bei elf Instandsetzungsprojekten zwischen 2014 und 2018 insgesamt 7,2 Millionen Euro. Dieser Ermittlungskomplex mündete in eine weitere Anklage.

Bild

Beim dritten Fall geht es um viel Geld, das Wiechmann und Reinberg aus der Firma holten: Insgesamt 19,5 Millionen Euro sollen die beiden in mehreren Tranchen zwischen 2014 und 2018 an Firmen weitergeleitet haben, die Reinberg gehörten oder die er kontrollierte. Selbst als die EW schon an finanzieller Schlagseite litt und zu kentern drohte, zweigten die Manager weiter Hunderttausende Euro aus dem Firmenvermögen ab.

Dabei legten sie es laut der Osnabrücker Staatsanwaltschaft von Anfang an darauf an, den Weg des Geldes zu verschleiern. Ein Trick: Die einzelnen Überweisungen gingen als Darlehen firmiert an die Hamburgerin und EW-Aufsichtsratsvorsitzende Brigitte Rohden, der die Werft über eine Stiftung gehörte. Von dort gelangte das Geld dann an die einzelnen Firmen. Reinberg zufolge habe er von der Besitzerin grünes Licht erhalten, überschüssige Mittel „nicht zur Bank zu tragen“, sondern sie zum Wohle der EW zu investieren. Schriftliche Aufzeichnungen haben die Ermittler dazu allerdings nicht finden können.

Die 2018 verstorbene Hamburgerin war schwer krank und spätestens in ihrem letzten Lebensjahr auch kaum noch geschäftsfähig. Die Frage, ob ihr Gesundheitszustand ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigt hat, wird im Prozess eine Rolle spielen. Zurückgezahlt wurde jedenfalls nur ein Bruchteil der Summe, Zinszahlungen fanden sich keine.

Zeugen, die mit der Liquiditätslage der EW vertraut waren, äußerten sich in den Vernehmungen deutlich zum Finanzgebaren von Wiechmann und Reinberg in dieser Sache. Das ergibt sich aus den Anklageschriften. So sagte die frühere Buchhalterin Margot K., dass es der EW bis 2016 finanziell gut gegangen sei, was insbesondere auf das prompte Zahlungsverhalten der Marine zurückzuführen sei. Die Angestellte war unter anderem für die Rechnungsprüfung zuständig. Ende 2017, als das Geld schon knapp wurde, habe sie Wiechmann geraten, lieber Rechnungen zu bezahlen als millionenschwere Darlehen zu gewähren.
„Ausgenommen wie eine Weihnachtsgans“

Ein weiterer Buchhalter sagte aus, dass die ständige Vergabe von Darlehen an Frau Rohden die Liquidität so stark beeinträchtigt habe, dass ab Anfang April 2018 Zahlungsziele „keine Bedeutung mehr gehabt“ hätten. Und ein Wirtschaftsprüfer, der die Kassenbücher der Werft gesichtet hatte, fasste die Lage in einer Vernehmung so zusammen: Die Werft sei zwar „ausgenommen worden wie eine Weihnachtsgans“ – aber mit dem Segen aller Beteiligten.

Anfang 2020 fiel das Unternehmen in sich zusammen. Wiechmann und Reinberg mussten am 19. Januar gehen, der neue Vorstand Axel Birk beantragte einen Monat später die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zunächst übernahm die Lürssen Werft die Firma, veräußerte die EW aber 2021 weiter. Die „Gorch Fock“ wurde im selben Jahr fertiggestellt und der Marine übergeben.

Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen war angeschlagen, blieb aber auf ihrem Stuhl sitzen. Am Drama seien verschiedene Stellen und Menschen Schuld, auch sie selbst, teilte sie im Frühjahr 2019 mit. Am 1. Dezember 2019 übernahm sie den Posten der Präsidentin der Europäischen Kommission in Brüssel.

Marcus Reinberg arbeitet heute als Anwalt in Hamburg. Auf seiner Homepage gibt er an, zertifizierter „Compliance Officer“ zu sein, also jemand, der dafür sorgt, dass in einem Unternehmen alle Gesetze und Vorgaben beachtet werden. Er hat sich als einziger Beschuldigter eingelassen und in Vernehmungen seine Unschuld beteuert.

Peter G., der untreue Kostenprüfer, ist jetzt Rentner. Er brachte den Fall überhaupt erst ans Tageslicht: Zwei Jahre nach der Einfädelung der beiden Kredite schien seine finanziell angespannte Situation allmählich öffentlich zu werden. Der Beamte zeigte sich im Dezember 2018 beim Bundesverteidigungsministerium selbst an und beichtete das Geschäft, um Ermittlungen zuvorzukommen. Daraufhin stellte die Behörde Strafantrag; das Mammut-Verfahren begann.
Bild
Antworten