Solarkraftwerke im Weltraum könnten rund um die Uhr Energie liefern

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ww_michael
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Solarkraftwerke im Weltraum könnten rund um die Uhr Energie liefern

Beitrag: # 1816Beitrag ww_michael »

Eine Idee aus der Science-Fiction könnte bald Wirklichkeit werden: Experten sehen kaum noch technologische Hürden für Solarkraftwerke, die um die Erde kreisen.

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Konzept für ein Solarkraftwerk im Weltraum.
Visualisierung European SPS Tower concept

Bei Isaac Asimov tauchte die Idee schon früh auf: In der 1941 erschienenen Kurzgeschichte «Vernunft» des Science-Fiction-Autors wird auf einer Raumstation fernab der Erde die Energie der Sonne aufgefangen und dann als konzentrierter Strahl zur Erde geschickt. Das Konzept klingt noch immer nach Science-Fiction. Aber im Dezember 2021 brachte die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) Visionäre und Experten auf dem Feld der Solarkraftwerke im All zusammen. Sie alle teilten die Einschätzung von Leopold Summerer, dem Gastgeber der Tagung: «Das Konzept ist bereit für einen industriellen Ansatz.»
Auf Lichtfang im geostationären Orbit

Erste technische Studien zur Solarkraft im All erschienen 1968, denen auch alle späteren Entwürfe ähnelten: Damit ein Solarkraftwerk immer über der gleichen Region der Erde schwebt, muss es auf einer geostationären Umlaufbahn in einer Höhe von 36 000 Kilometern um die Erde kreisen. Dort müsste eine mehrere Quadratkilometer grosse Struktur aus Tausenden von Photovoltaikmodulen installiert werden. Die so gewonnene Energie würde dann in Mikrowellen umgewandelt und in einem Strahl zur Erde übertragen. Das verspricht geringe Verluste durch die Wolken und die dichte Atmosphäre.

Am Boden würde der Mikrowellenstrahl von einem Feld aus stabförmigen Dipolantennen aufgefangen, die über eine Fläche von einigen Quadratkilometern verteilt sind. Die Fläche liesse sich zeitgleich landwirtschaftlich nutzen. Denn der Mikrowellenstrahl ist so weit aufgefächert, dass er weder Tieren noch Menschen schadet.
17-mal so schwer wie die ISS

Die Solarenergie aus dem All hätte etliche Vorteile: Sie ist klimaneutral und ressourcenschonend – die Energie von Dutzenden Raketenstarts wäre schon nach einigen Wochen der Operation wieder eingespielt. Dazu könnte die Technik ein Problem lösen, das der globalen Energiewende im Wege steht. Nachts und bei ruhigem Wetter im Winter mangelt es an den global wichtigsten erneuerbaren Energiequellen Wind und Sonne. Im geostationären Erdorbit ist dagegen immer Tag, und das Kraftwerk im All könnte jederzeit gleichmässig Energie liefern.

Warum der Bau solcher Solarkraftwerke bis heute kaum in Erwägung gezogen wurde, hängt mit ihren Dimensionen zusammen. «Man kann sie nicht klein bauen», sagt Leopold Summerer, der bei der ESA die Abteilung für fortgeschrittene Konzepte leitet. «Die Antennen im All brauchen eine gewisse Grösse, um die Energie zu übertragen. Das ist einfach Physik.»

Diese Einschränkung macht Anlagen von ein bis zwei Gigawatt nötig, vergleichbar mit der Leistung eines Kernkraftwerks auf der Erde. Dafür wären im All Photovoltaikzellen und Sendeanlagen auf einer Fläche von 15 Quadratkilometern notwendig. Selbst bei Leichtbauweise käme eine Masse von 7600 Tonnen zusammen. Das entspricht dem 17-fachen Gewicht der Internationalen Raumstation, des bisher grössten von Menschen erschaffenen Objekts im All.
Startkosten sinken rapide

Derart grosse Massen in den Orbit zu bringen, wäre lange Zeit viel zu teuer gewesen. Eine Nasa-Studie ging 1997 von einem Startpreis von höchstens 400 Dollar pro ins All befördertem Kilogramm aus, bevor der erzeugte Strom mit dem aus irdischen Kraftwerken konkurrieren könnte. Damals lag der Preis 50-fach darüber. Doch seither sind die Startpreise einzelner Raketen rapide gesunken. Der Marktführer für Raketenstarts liegt mit wenigen tausend Dollar pro Kilogramm nicht mehr weit vom Zielwert entfernt.

Auch die Entwicklung von Solarzellen hat in den letzten drei Jahrzehnten immense Fortschritte gemacht. Die neueste Generation von Photovoltaikmodulen für die Raumfahrt kann 30 Prozent des einfallenden Sonnenlichts verwerten. Solche Solarzellen müssten eingerollt und gefaltet werden, um dann im Orbit automatisch in Form gebracht und von Robotern montiert zu werden – denn Astronautenflüge in den geostationären Orbit würden die Technik zu sehr verteuern.

Auch die Wartung müsste autonom erfolgen. Denn weil Strahlung und kleine Meteoriten immer wieder einzelne Module beschädigen, wäre eine ständige Reparatur an Teilen des orbitalen Kraftwerks notwendig. Dazu kommt die Gefahr durch Weltraumschrott, der aber im geostationären Orbit in 36 000 Kilometern Höhe weniger riskant ist als auf niedrigen Bahnen. Denn hier bewegen sich alle Teile mit annähernd gleicher Geschwindigkeit.
Übertragung macht erste Fortschritte

Die wohl grössten Fragen wirft derzeit noch die Übertragung der Energie mittels Mikrowellen zum Boden auf. Nach Jahrzehnten der Laborversuche gelang es zwar 2008 einem Team von japanischen und amerikanischen Forschern, kleinere Energiemengen zwischen zwei Vulkanbergen von Hawaii über 148 Kilometer zu übertragen. Doch im All müsste eine vielfach stärkere Antenne konstruiert werden.

Denkbar wäre, in die einzelnen Photovoltaikmodule kleine Mikrowellenantennen einzubauen, die dann über eine Software zusammengeschaltet werden. Solche phasengesteuerten Antennen sind in der Radartechnik weit verbreitet, müssten aber zur exakten Übertragung zum Erdboden millimetergenau aufeinander ausgerichtet werden. Das ist bei einer quadratkilometergrossen und hauchdünnen Struktur mitten im Orbit nicht ganz einfach.

Damit Solarenergie aus dem All auf die Erde gelangen kann, müssen zudem politische Fragen geklärt werden. Die Mikrowellen könnten den Funkverkehr am Boden und von anderen Satelliten stören. Die internationale Regulierung der knappen Funkfrequenzen würde also noch komplizierter, als sie es heute schon ist.

Dennoch möchte Chinas Regierung schon bis 2030 ein erstes Versuchskraftwerk im All errichten. Auch in den USA, Japan, Australien und Südkorea arbeiten Gruppen an einzelnen Komponenten der Solarkraftwerke. So weit ist Europa noch nicht. Abgesehen von Grossbritannien gibt es hier keine Anstrengungen.

Für Summerer liegt die erste Hürde daher an einer anderen Stelle. Ein Solarkraftwerk im Weltraum sei kein klassisches Projekt für eine Raumfahrtagentur. Stattdessen müssen Energieunternehmen erkennen, dass die Beschäftigung mit dem Weltraum nicht nur mit Science-Fiction zu tun hat.
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