Der letzte Sieg der deutschen Schlachtschiffe

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ww_michael
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Der letzte Sieg der deutschen Schlachtschiffe

Beitrag: # 1889Beitrag ww_michael »

Um drei deutsche Großkampfschiffe von Brest bis nach Norwegen zu führen, versuchte Admiral Ciliax im Februar 1942 den Durchbruch durch den Ärmelkanal. Als die Briten das Unternehmen erkannten, hatte er die Enge bei Calais bereits passiert.

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11. Februar 1942: Die Schlachtschiffe "Scharnhorst" und "Gneisenau" sowie der Schwere Kreuzer "Prinz Eugen" durchqueren, eskortiert von leichten Einheiten, den Ärmelkanal
Quelle: Universal Images Group via Getty

Sicherlich hätte sich Otto Ciliax (1891 bis 1964) einen anderen Auftrag gewünscht, als den auszuführen er sich am 11. Februar 1942 aufmachte. Denn der Vizeadmiral der deutschen Kriegsmarine lief vom französischen Brest zu einem Himmelfahrtskommando aus. Mit den beiden Schlachtschiffen „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ sowie dem Schweren Kreuzer „Prinz Eugen“ sollte er den Durchbruch durch den Ärmelkanal erzwingen, ein Unternehmen, das seit Jahrhunderten keiner fremden Flotte gegen die Royal Navy gelungen war.

Ciliax ging es dabei wohl weniger um das Leben seiner Leute als vielmehr um die strategische Bedeutung des „Unternehmens Cerberus“. Denn seine Durchführung bedeutete nicht weniger als die Aufgabe großräumiger Überwasservorstöße durch die Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg. So etwas hatte Ciliax bereits als junger Marineoffizier im Weltkrieg zuvor erlebt. Nach der Schlacht im Skagerrak 1916 hatte sich die kaiserliche Hochseeflotte in ihren Heimathäfen verbarrikadiert und war durch Nichtstun und Schikane zum Brutherd der Revolution geworden.

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Otto Ciliax (2. v. l.; 1891–1964) an Bord der "Scharnhorst"
Quelle: Getty Images

Ein ähnliches Schicksal fürchtete Ciliax für die Großkampfschiffe von Hitlers Seemacht. Davon waren nur wenige übrig geblieben. Im Kaperkrieg und bei der Invasion Norwegens waren einige Schiffe versenkt worden. Der größte Verlust war das moderne Schlachtschiff „Bismarck“, das am 27. Mai 1941 den Bomben der Royal Navy zum Opfer fiel. Seitdem musste die Seekriegsleitung um Großadmiral Erich Raeder zusehen, wie sich mit den Operationsmöglichkeiten der Überwasserschiffe ihre Bedeutung für Hitlers Agenda drastisch verringerte.

Denn Brest und die übrigen Basen an der Atlantikküste des besetzten Frankreich lagen in der Reichweite der britischen Bomber. Wiederholt wurden die Schlachtschiffe „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ getroffen, was aufwendige und Monate andauernde Reparaturen nötig machte. Außerdem mussten kriegswichtige Ressourcen für die Ostfront abgegeben werden. Ende Oktober 1941 verfügte die Kriegsmarine nur noch über einen Bestand von 380.000 Tonnen Heizöl, verteilt auf 62 Stützpunkte – bei einem monatlichen Verbrauch von 90.000 Tonnen. Dass die Briten zudem zahlreiche Versorgungsschiffe versenkten, die die Großkampfschiffe auf hoher See unterstützen mussten, engte den Aktionsradius der Flotte weiter ein.

Im November 1941 hatte daher der Oberbefehlshaber der U-Boote, Karl Dönitz, den Vorschlag gemacht, die schweren Einheiten nicht mehr im Atlantik einzusetzen. Das traf sich mit Hitlers Ansicht, der es für einen Glücksfall hielt, dass seine wenigen Dickschiffe nicht durch weitere Bombenangriffe außer Gefecht gesetzt worden waren.

Als die Großoffensive der Roten Armee im Dezember die deutsche Ostfront beinahe zum Einsturz brachte, kam der Diktator auf den Gedanken, die großen Schiffe außer Dienst zu stellen, ihr Personal und Material „besser und nutzbringender“ einzusetzen und alle Marineressourcen dem U-Boot-Krieg zur Verfügung zu stellen. Und er verwies auf die erfolgreichen japanischen Angriffe auf die US-Pazifikflotte in Pearl Harbor und die britischen Schlachtschiffe „Prince of Wales“ und „Repulse“ vor Singapur.

Als Befehlshaber der Schlachtschiffe war Vizeadmiral Ciliax von diesen Gedankenspielen besonders betroffen. Zwar versuchte sein Vorgesetzter Raeder, die Abrüstung der Schiffe mit dem Argument zu verhindern, dass dies „den Geist ihrer Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften auf das Gefährlichste beeinflussen würde“. Hitlers Antwort geriet sarkastisch: Die Brest-Gruppe gleiche einem Krebskranken, welcher „ohne Operation bestimmt kaputt geht, während eine Operation, die zwar eine ,Ross-Kur’ ist, gewisse Aussichten auf Erfolg hat“.

Damit war der Durchbruch durch den Kanal nach Osten gemeint. Anschließend sollten die Schiffe Norwegen gegen britische Vorstöße verteidigen. Ciliax bekam den Befehl, das Unternehmen anzuführen.

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"Scharnhorst" und "Gneisenau" im Gefecht
Quelle: picture alliance / arkivi

Zunächst sorgten Minensucher dafür, dass die tiefen Gewässer im Kanal geräumt wurden, um dort eine hohe Marschgeschwindigkeit zu ermöglichen. Sechs Zerstörer und Dutzende kleinerer Schiffe wurden als Deckung zusammengezogen. 250 Jagdflugzeuge stellte die Luftwaffe bereit, von denen zu jeder Zeit 16 über dem Verband kreisen sollten.

Die Royal Navy bekam – nicht zuletzt durch Mitglieder der französischen Resistance – früh Wind von dem Unternehmen und bereitete Gegenmaßnahmen vor. Um den Marsch um Schottland herum zu blockieren, wurden schwere Einheiten dort konzentriert. Für den Fall eines Kanaldurchbruchs ging man davon aus, dass die deutschen Schiffe die engste Stelle zwischen Calais und Dover in einer Neumondnacht passieren würden. Ciliax aber wollte diese gefährliche Enge um die Mittagszeit hinter sich lassen.

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Nach ihrer Entdeckung nahmen die deutschen Schiffe englische Stellungen ins Visier (Propagandafoto)
Quelle: picture-alliance / akg-images

Das Kalkül ging auf. In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 1942 herrschte schlechte Sicht, die durch künstlichen Nebel noch verstärkt wurde. Deutsche Störsender blendeten die britische Aufklärung, sodass Ciliax zwölf Stunden für eine freie Fahrt unter Volldampf nutzte. Als die Briten ihren Fehler erkannten und ihre Bomber und Küstenartillerie gefechtsbereit machten, hatten die deutschen Schiffe Calais bereits passiert. Die britischen Flugzeuge wurden ein Opfer der deutschen Jäger. Die Geschütze an Land fanden wegen des schlechten Wetters ihre Ziele nicht.

Die englische Öffentlichkeit tobte, zumal zur gleichen Zeit Singapur von den Japanern attackiert wurde. Doch Ciliax’ Erfolg, den die NS-Propaganda weidlich ausschlachtete, erwies sich als Pyrrhussieg. „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ hatten nach Luftverminung Treffer erlitten, die beide Schiffe wieder ins Dock zwangen. Wenige Wochen später traf ein Luftangriff die „Gneisenau“ so schwer, dass sie als Kampfeinheit vollständig ausfiel. Die „Scharnhorst“ wurde Ende Dezember 1943 im Nordmeer von überlegenen britischen Kräften versenkt. Einzig die „Prinz Eugen“ überstand den Krieg einsatzfähig. Doch sie wurde 1946 nach einem Einsatz in einer Atombomben-Testreihe auf dem Bikini-Atoll im Pazifik versenkt.
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