Dieser Admiral versenkte seine Flotte – und wurde dafür gefeiert

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ww_michael
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Dieser Admiral versenkte seine Flotte – und wurde dafür gefeiert

Beitrag: # 2977Beitrag ww_michael »

Das Codewort „Paragraf elf“ stammte aus dem Kneipenjargon von Studentenverbindungen. Als Konteradmiral Ludwig von Reuter es 1919 den deutschen Schiffe in der Bucht Scapa Flow signalisierte, begann das letzte Kapitel der Hochseeflotte.

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Zuerst schwankte SMS „Friedrich der Große“. Kurz gegen zwölf Uhr Ortszeit neigte sich das ehemalige Flaggschiff der deutschen Hochseeflotte, gerade etwas mehr als sechs Jahre alt, „unter gleichzeitigem Tiefersinken mehr und mehr zur Seite“, erinnerte sich Ludwig von Reuter: „Seine Boote waren schon zu Wasser gebracht und lagen am Heck – jetzt tönten laut und markig Einzelschläge seiner Schiffsglocke zu uns herüber, das Signal: Alle Mann von Bord!“

Nach einigen Minuten kenterte das 27.000 Tonnen schwere Großlinienschiff, dessen Bau 45 Millionen Goldmark gekostet hatte. Die aus den Schornsteinen austretende Luft warf noch zwei große Wasserstrudel auf, dann war alles still. Einige Trümmer trieben auf dem verlassenen Liegeplatz. In seinen Erinnerungen vermerkte Admiral Reuter mit Stolz: „Die Uhr zeigte 16 Minuten nach zwölf Uhr.“
The German battleship SMS Bayern sinking after being scuttled in Gutter Sound, Scapa Flow, Scotland after the end of the First World War. Date: 21 June 1919 || Nur für redaktionelle Verwendung

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In den folgenden vierdreiviertel Stunden gingen fünf moderne Schlachtkreuzer, neun weitere Großlinienschiffe, von denen keines vor 1912 in Dienst gestellt worden war, fünf Kleine Kreuzer und 32 Große Torpedoboote – der damals in Deutschland übliche Name für Zerstörer – unter. Um 17 Uhr sank die SMS „Hindenburg“, das letzte im Ersten Weltkrieg fertig gestellte deutsche Großkampfschiff – nur noch ihre beiden Schornsteine und die Funkmasten ragten aus dem Wasser. Der nach dem an diesem 21. Juni 1919 formal immer noch amtierenden Chef der Obersten Heeresleitung Paul von Hindenburg benannte Schlachtkreuzer hatte niemals an einem Seegefecht teilgenommen.

Für Ludwig von Reuter war die gelungene Selbstversenkung in Scapa Flow ein Sieg. Übrigens der einzige eindeutige Triumph der Hochseeflotte – die Schlacht im Skagerrak am 31. Mai und 1. Juni 1916 war unentschieden ausgegangen; beide Seiten beanspruchten den Sieg für sich. Entsprechend gefeiert wurde der Admiral, als er ein gutes halbes Jahr später aus britischer Internierung zurückkehren durfte.

„In der Heimat“, schreiben die Marinehistoriker Jörg Michael Hormann und Eberhard Kliem, „wurde die Selbstversenkung nahezu einhellig begrüßt.“ Die deutschen Seeleute waren dem allgemeinen Verständnis und auch den entsprechenden Befehlen in den meisten Marinen der Welt gefolgt, denen zufolge ein wehrloses Kriegsschiff nicht den Gegner in die Hände fallen sollte und deshalb versenkt werden musste.

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Am 31. Januar 1920 trafen die knapp 1800 Mann, die sich zuletzt noch auf den insgesamt 74 deutschen Schiffen in Scapa Flow befunden hatten, in Wilhelmshaven ein. Offiziell begrüßte sie der Chef der Admiralität, Konteradmiral Adolf von Trotha. Ludwig von Reuter wurde außerhalb der Reihe zum Vizeadmiral befördert und kurz darauf in den Ruhestand verabschiedet. Ganz offensichtlich waren alle Seiten mit seiner Entscheidung zur Selbstversenkung der Flotte einverstanden.

Was in der Situation verständlich war, klammerte allerdings aus, dass der Bau der Kriegsschiffe erstens vor 1914 Unsummen verschlungen hatte und zweitens im Vereinigten Königreich nicht zu unrecht als Provokation aufgefasst worden war. Auch forderte das Manöver von 1919 noch Menschenleben: Als die an diesem Samstagnachmittag wenigen britischen Seeleute in Scapa Flow (die Masse der Royal Navy war zu einem Übung in die Nordsee ausgelaufen) verstanden, dass sich die zu bewachenden deutschen Schiffe selbst versenkten, versuchten sie, das gewaltsam aufzuhalten. Außerdem wurde auf deutsche Besatzungen in Rettungsbooten gefeuert.

Neun (nach Reuters eigenen Angaben allerdings nur vier) Deutsche starben, weitere wurden teilweise schwer verletzt. Sie wurden von der War Graves Commission auf einem britischen Soldatenfriedhof beigesetzt – das Eingeständnis, dass diese gegnerischen Soldaten unrechtmäßig getötet worden waren.
A scuttled German destroyer at Scapa Flow Date: 1919 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung

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Ludwig von Reuter zog sich, mit knapp 51 Jahren, in den Ruhestand zurück und trat öffentlich bis zu seinem Tode Ende 1943 in Potsdam kaum mehr auf. Es war das ungewöhnliche Ende eines typisch preußischen Offiziersleben. Geboren 1869 in Guben, wuchs Ludwig als Halbwaise auf, denn sein Vater war als Regimentskommandeur im Deutsch-französischen Krieg gefallen. Mit 16 Jahren trat der der im Aufbau befindlichen Kaiserlichen Marine als Kadett bei und machte Karriere: 1888 Unterleutnant, bald Kommandant eines ersten (kleinen) Schiffs, ab 1900 im Waffenamt, der zentralen Stelle für den Aufbau der Hochseeflotte, ab 1910 als Kommandant des Großen Kreuzers SMS „Yorck“.

Im Sommer 1914 übernahm er das Kommando über den brandneuen Schlachtkreuzer SMS „Derfflinger“, der offiziell erst nach Kriegsbeginn in Dienst gestellt wurde. Mit diesem Schiff war Reuter an der Beschießung der britischen Küste am 16. Dezember 1914 und am Gefecht auf der Doggerbank teil, einer deutschen Niederlage (die Royal Navy versenkte ohne eigene Verluste die SMS „Blücher“). Im September 1915 übernahm er eine Gruppe von fünf Leichten Kreuzern und führte sie in der Skagerrak-Schlacht. Im August 1918 wurde er Kommandeur der Aufklärungsgruppe der Hochseeflotte.

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Ende November 1918 führte Reuter – seine Vorgesetzten hatten sich geweigert – die modernsten Schiffe der Hochseeflotte zur Internierung nach Scapa Flow – eine der Bedingungen des Waffenstillstandsabkommen vom 11. November. Sie waren vorher kampfuntauglich gemacht worden.

Am 7. Mai 1919 wurde mit der Übergabe gemäß der Friedensbedingungen in Versailles deutlich, dass eine Rückgabe der Schiffe ausgeschlossen war. Reuter beschloss mit seinem Stab, die Selbstversenkung vorzubereiten: Die Mannschaften wurden weiter reduziert, bis nur noch vertrauenswürdige Besatzungen an Bord waren. Am 17. Juni 1919 legte der Konteradmiral das Signal fest: „Paragraf elf“. Ein Anlehnung an den Bier-Comment von Studentenverbindungen: „Es wird weitergesoffen!“ Am 21. Juni 1919 um 11 Uhr war es soweit.
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