1:0 für die GEMA im Urheberrechtstreit mit Open AI
Verfasst: Mittwoch 12. November 2025, 16:59

Der durch Helene Fischer bekannte Song „Atemlos“ stand auch auf der Liste der Liedtexte, mit denen Chat GPT trainiert hat. Geschrieben hat ihn Kristina Bach.
Der Konzern durfte Songtexte nicht ohne Lizenz fürs KI-Training nutzen, urteilt das Landgericht München. Doch was folgt aus dem Urteil – und wie ist eigentlich die Lage in den USA?
In dem mit Spannung erwarteten Urteil im Urheberrechtsstreit und in Fragen zum Training von Künstlicher Intelligenz (KI) hat das Landgericht München I der klagenden Verwertungsgesellschaft GEMA überwiegend recht gegeben. Nach Auffassung der 42. Zivilkammer hat Open AI beim Betrieb seines KI-Chatbots ChatGPT die Urheberrechte von Liedtextern verletzt. Deswegen kann die GEMA von Open AI Unterlassung, Auskunft zum verwendeten Umfang von Liedtexten sowie Schadenersatz verlangen.
Keinen Erfolg hatte die GEMA hingegen mit dem Versuch, für ihre Mitglieder Ansprüche aus Persönlichkeitsrechten geltend zu machen. In dem Fall wiesen die Richter die Klage ab (Az. 42 O 14139/24). Dennoch ist die Entscheidung als ein Grundsatzurteil zu sehen, insbesondere weil es sich um das erste in Europa handelt, in einer Klage, die eine Verwertungsgesellschaft gegen einen der KI-Betreiber eingereicht hat.
„Sowohl durch die Memorisierung in den Sprachmodellen als auch durch die Wiedergabe der Liedtexte in den Outputs des Chatbots lägen Eingriffe in die urheberrechtlichen Verwertungsrechte vor“, teilte das Landgericht mit. Diese seien nicht durch Schrankenbestimmungen, insbesondere die Schranke für das Text- und Data-Mining, gedeckt. Zur Einordnung: Das deutsche Urhebergesetz ermöglicht eine solche automatisierte Analyse digitaler oder digitalisierter Werke, um daraus insbesondere Informationen über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen. Doch in ihrer Bewertung im Fall von ChatGPT kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass diese Prämisse nicht greife. „Im Gegenteil, durch die gegebenen Vervielfältigungen im Modell werde in das Verwertungsrecht der Rechteinhaber eingegriffen“, heißt es in dem Urteil.
„Das Internet ist kein Selbstbedienungsladen“
Entgegen der Ansicht von Open AI seien die Liedtexte nicht neben dem gesamten Trainingsdatensatz als nebensächlich und verzichtbar anzusehen, erklärten die Richter. Der Eingriff der Beklagten in die Verwertungsrechte der Klägerin sei auch nicht durch eine Einwilligung der Rechteinhaber gerechtfertigt, weil das Training von Modellen nicht als eine übliche und erwartbare Nutzungsart zu werten sei, mit der der Rechteinhaber rechnen müsse.
„Das Internet ist kein Selbstbedienungsladen, und menschliche Kreativleistungen sind keine Gratisvorlage“, kommentierte GEMA-Chef Tobias Holzmüller die Entscheidung: „Wir haben heute einen Präzedenzfall geschaffen, der die Rechte der Urheberinnen und Urheber schützt und klärt: Auch Betreiber von KI-Tools wie ChatGPT müssen sich an das Urheberrecht halten.“
Die Entscheidung der Zivilkammer hatte sich schon in der mündlichen Verhandlung vor einigen Wochen abgezeichnet. Ende September hatte die Vorsitzende Richterin Elke Schwager im Münchner Justizpalast angedeutet, in praktisch allen zentralen Punkten des Rechtsstreits eher den Argumenten der GEMA zu folgen. Neben einer Entscheidung hätten die Richter auch die Möglichkeit gehabt, den Rechtsstreit auszusetzen und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Seit diesem Frühjahr liegt in Luxemburg schon ein Verfahren eines ungarischen Medienhauses gegen Google vor.
Ein Sprecher von Open AI sagte, man sei mit dem Urteil nicht einverstanden und erwäge weitere Schritte. „Die Entscheidung betrifft nur einen begrenzten Teil der Songtexte und hat keine Auswirkungen auf die Millionen von Menschen, Unternehmen und Entwicklern in Deutschland, die unsere Technologie täglich nutzen.“
„Das Münchner Urteil wird die Geschäftsmodelle von KI-Anbietern nicht gravierend beeinträchtigen“
Auch wenn sie lediglich erstinstanzlich ist, dürfte die Entscheidung den Handlungsdruck auf die Politik weiter erhöhen. Denn in Brüssel und Berlin achtet man genau auf die Klage der GEMA. Noch am Montag wies Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) auf die bevorstehende Entscheidung hin. Sie gehe davon aus, dass der Streit erheblichen Einfluss auf die Lizenzbereitschaft von KI-Unternehmen haben werde, sagte Hubig auf der Tagung der Initiative Urheberrecht in Berlin. Neben den Erkenntnissen bei der Regulierung sei es auch wichtig, die Situation für Urheber zu verbessern. „Wenn sich der Lizenzmarkt nicht spürbar belebt, müssen wir über gesetzliche Anpassungen diskutieren, und zwar vor allem auf EU-Ebene“, bekräftigte Hubig.
Währenddessen mahnen Fachleute für den Schutz von geistigem Eigentum (IP) zur Zurückhaltung, was die Tragweite der Entscheidung angeht. „Das Münchner Urteil wird die Geschäftsmodelle von KI-Anbietern nicht gravierend beeinträchtigen“, meint Jens Matthes, IP-Partner bei der Kanzlei A&O Shearman. Erst die zahlreichen weiteren Gerichtsverfahren vor allem in den USA und Europa würden über die zukünftige Freiheit von KI-Modellen und andererseits die Beteiligung von Kreativen an KI-Erlösen bestimmen – „wenn sie nicht vor Abschluss verglichen werden“. Derzeit sind in Amerika weit mehr als 50 Urheberklagen, teils als Sammelklagen, gegen globale Techkonzerne und KI-Betreiber anhängig. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte ein Vergleich des KI-Betreibers Anthropic: Weil zum Training des KI-Chatbots Claude zahlreiche raubkopierte Bücher von US-Autoren verwendet wurden, zahlt Anthropic 1,5 Milliarden Dollar, um damit eine mögliche Sammelklage zu beenden.
Im Gegensatz zu Europa beinhaltet das US-Urheberrecht eine „Fair Use“ genannte Doktrin. Diese sieht eine Abwägung anhand von diversen Kriterien vor, ob die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material ohne Vergütung und ohne Zustimmung der Urheber zulässig ist. Einer der Faktoren ist der „transformative“ Charakter der Neuschöpfung – auf diesen pochen die KI-Konzerne. Doch auch die Folgen für einen bestehenden Lizenzmarkt spielen eine Rolle.
Tatsächlich sah der Richter im Antrophic-Verfahren das Training als Fair Use an. Die Beschaffung der Bücher aus Pirateriedatenbanken jedoch wertete er als Urheberrechtsverletzung. Aufseiten der Musikindustrie hofft man auf eine andere Bewertung in den US-Verfahren gegen die KI-Anbieter Suno und Udio. Beide generieren per Prompt komplette Songs, die dann auf den Streamingdiensten echte Tantiemen streitig machen können. Hinzu kommt die Nutzung als Hintergrundmusik in Restaurants, Läden, auf Social Media oder in Filmen und Werbung. Gegen Suno klagt die GEMA ebenfalls. Im Januar steht die Verhandlung an – wieder am Landgericht München.