Dürfen Ver­wal­tungs­ge­richte das Rund­funk­pro­gramm über­prüfen?

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ww_michael
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Dürfen Ver­wal­tungs­ge­richte das Rund­funk­pro­gramm über­prüfen?

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Spannende Frage in Leipzig: Müssen Beitragszahler den Rundfunkbeitrag leisten, auch wenn sie dessen Programm als zu einseitig empfinden? Darüber hat das BVerwG heute verhandelt – mit möglicher Signalwirkung für künftige Klagen.
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Schon zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn drängten sich Presse und Zuschauer in den Hallen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG). Draußen demonstrierten rund 100 Personen mit Schildern wie "Schluss mit der Propagandasteuer". Sie ahnen es: Es geht (mal wieder) vor einem Bundesgericht um den Rundfunkbeitrag.

Da der sechste Senat am Mittwoch einen vollen Terminkalender hatte, begann die Verhandlung mit 45 Minuten Verspätung. Das Interesse der im Saal anwesenden Öffentlichkeit, die vor allem auch aus Kritikern des Rundfunks bestand, war aber ungebrochen. Doch diese Geschichte ist im Vergleich zu anderen großen Rechtsstreitigkeiten um den Rundfunkbeitrag anders gelagert.
Klägerin: "Rundfunk Erfüllungsgehilfe der staatlichen Meinungsmacht"

Eine Frau aus Bayern klagte 2022 gegen den Bayerischen Rundfunk (BR) wegen eines Bescheids zur Zahlung Rundfunkbeitrags. Sie wirft dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk strukturelles Versagen vor: zu wenig Meinungsvielfalt, zu starke Staatsnähe. Der Rundfunk sei mittlerweile zum "Erfüllungsgehilfen der staatlichen Meinungsmacht" geworden. Sie sehe deshalb keinen "individuellen Vorteil" in ihm und verweigerte die Zahlung. Sie selbst war am Mittwoch im Gerichtssaal nicht vor Ort, nur ihre beiden Prozessvertreter.

Der BR verweist in dem Verfahren auf die 2018 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellte Rechtmäßigkeit des Beitrags (BVerfG, Urt. v. 18.07.2018 Az.1 BvR 1675/16, 1 BvR 981/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 745/17). Nur weil einer Person das Programm persönlich nicht gefalle, rechtfertige dies nicht, den Beitrag nicht zu zahlen.

Beide Vorinstanzen, das Verwaltungsgericht München (Urt. v. 21.09.2022, Az. M 6 K 22.3507) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 17.07.23, Az. 7 BV 22.2642), hatten die Klage der Frau abgewiesen. Sie betonten: Selbst wenn es dem Rundfunk möglicherweise an Ausgewogenheit mangeln sollte, sei das kein Thema für juristische Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte, sondern Arbeit für Gremien wie den Rundfunkrat – dort könne man nämlich Programmbeschwerde einreichen. Der individuelle Vorteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehe dabei in der bloßen Möglichkeit, diesen nutzen zu können, entschieden die Gerichte mit Verweis auf die BVerfG-Rechtsprechung.

Das BVerwG ließ die Revision der Frau wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (Beschluss v. 23.05.2024, Az. 6 B 70.23). Im Kern geht es in diesem Verfahren also um eine andere Frage als in den vorherigen Verfahren zum Rundfunk: Dürfen (oder müssen) Verwaltungsgerichte selbst überprüfen, ob der Rundfunk strukturell versagt – oder reicht der Verweis auf die Programmbeschwerde als Rechtsweg?
"Hohe Betriebstemperatur": Senat leitet die Verhandlung souverän

Der Vorsitzende des Senats, Ingo Kraft, gab am Mittwoch die grobe Gliederung der Verhandlung vor, die aus seiner Sicht eine "hohe Betriebstemperatur" aufweise. Zunächst sollten die Parteien klären, ob das BVerwG an das Urteil des BVerfG aus 2018 gebunden sei. Der BR argumentierte sogleich los: Hätte das BVerfG in seinem 2018er-Urteil ein Strukturversagen gesehen, hätte es die Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags ja wohl kaum bestätigt.

Kraft dagegen betonte, dass Rechtsprechung "evolutionär statt revolutionär" sei und somit bestimmte Themen manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden könnten. Er signalisierte so, die Verhandlung ergebnisoffen zu führen.

Dann diskutierten alle Beteiligten, ob ein "individueller Vorteil" der Beitragszahler als Merkmal auch in einfachen Gesetzen vorgesehen ist, etwa in § 34 Medienstaatsvertrag. Auf diese Weise würde eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Beitragsbescheide eröffnet werden. Der Vorsitzende fragte dann provokant, wie hoch die Hürde für die Bejahung des strukturellen Versagens des Rundfunks sein müsste: "Sechs Meter fünfzig und ohne Stab beim Stabhochsprung?" Beide Parteien waren sich jedenfalls einig: Die klagende Frau müsste ein strukturelles Versagen substantiiert darlegen können, wenn sie den Beitrag nicht mehr zahlen möchte.

Kraft selbst betonte, dass auch er fernschaue und er dabei auch auf die eine oder andere Sendung gestoßen sei, die er persönlich nicht möge. Das sei aber nicht der Punkt, um den es sich in diesem Fall juristisch drehe. Es komme stattdessen darauf an, ob der gesamte Rundfunk womöglich auf allen Kommunikationskanälen, allen Sendern und in allen Sendungen versage. Die Anwälte der klagenden Frau hielten dem entgegen, dass diese Hürde zu hoch sein dürfte. Das könne ein einzelner Bürger niemals substantiiert genug vortragen.
Publikum lacht über Programmbeschwerde

Für Aufregung im Saal sorgte die Frage danach, ob die Vorinstanzen die klagende Frau nicht zurecht auf die Programmbeschwerde verwiesen haben könnten. Mit der Programmbeschwerde kann man derzeit einzelne Sendungen beim Rundfunkrat bemängeln.

Die BR-Vertreterin verteidigte die Programmbeschwerde als "effektives Instrument" für die Bürger, was Gelächter im Publikum unter den Rundfunk-Skeptikern auslöste. Die Anwälte der klagenden Frau wiesen darauf hin, dass 99,7 Prozent aller Beschwerden abgewiesen würden. Die BR-Vetreterin beteuerte hingegen, dass Kritik am Rundfunk gehört werde und nicht nur "verpuffe", was das Publikum erneut zu lautstarkem Lachen animierte. Der Vorsitzende Kraft rief erneut zur Ruhe auf und mahnte: Diskurs sei im Gerichtssaal höchst erwünscht. Dem dürfe das Publikum gerne zuhören, ihn aber nicht stören.

Zum Abschluss der Verhandlung sagten die Anwälte der klagenden Frau, dass es "eine echte Möglichkeit zur Kontrolle des Rundfunks" brauche, um den gesellschaftlichen Diskurs zu sichern. So, wie es derzeit laufe, hätten die Bürger das Gefühl, der Rundfunk mache praktisch, was er wolle, während sie ihn dafür noch bezahlen müssten. Der BR betonte, dass der Rundfunk "niemanden indoktriniert", was das Publikum ein letztes Mal mit zynischem Gelächter und aufgeregtem Getuschel quittierte.

Ein Urteil gab es am Mittwoch nicht, der Senat hat die Verkündung stattdessen für den 15. Oktober 2025 angesetzt. Dann werden wir wissen, ob die Verwaltungsgerichte demnächst mit vielen neuen Klagen über den Rundfunkbeitrag überhäuft werden.
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